Pressereaktionen in Deutschland
Die Reaktionen auf den Ausgang des ESC 2007 in der deutschen Tagesprsesse vom Montag könnten unterschiedlicher kaum sein.
Die Bild fordert in grosser Schlagzeile "Stoppt endlich den Schummel Grand Prix" und unterstellt den Osteuropäern mehr oder weniger direkten Betrug. Eine wenig objektive Tabelle soll dabei die "Punkteschieberei" dem Leser verdeutlichen. Eine Analyse warum in diesem Jahr osteuropäische Titel soweit vorne liegen findet der Leser leider nicht. Stattdessen wird Nicole zitiert, die eine Abschaffung des Grand Prix in seiner jetzigen Form fordert.
Ganz anders und wesentlich analytischer geht die Stuttgarter Zeitung das Thema ESC 2007 an. Unter der Überschrift "Eine Ballade aus Serbien zähmt den Grand Prix" geht Autor Hannes Gamillscheg vor allem auf die Vielschichtigkeit des musikalischen Angebots ein (Lob erhalten vor allem die Beiträge aus Ungarn, Russland und Deutschland). Als für den Wettbewerb wichtig erachtet er zudem den Trend zurück zum Lied und weg von der Show, weshalb der Sieg vom "Molitva" für den Wettbewerb insgesamt sehr wichtig sei. Auch die Inszenierung der Show insgesamt (insbesonders die Komikerin im rosa Kleid) werden hoch gelobt. Die Zukunft des ESC sieht die Stuttgarter Zeitung nicht gefährdet, da ein Sieg durch osteuropäische Stimmen allein nicht zu erzielen ist (sieh Lordi 2006).
Zu einem ähnlich versöhnlichem Fazit kommen auch die Stuttgarter Nachrichten, deren Autor Jörg Heinrich das schlechte Abschneiden Westeuropas vor allem durch die schlechte Qualität der meisten westeuropäischen Beiträge (rühmliche, aber dennoch erfolglose, Ausnahme: Deutschland) begründet sieht. Er fodert hier mehr Anstrengung bei den Westeuropäern, um den Anschluss an Osteuropa nicht zu verlieren: "Nicht jammern, nächstes Jahr mehr anstrengen".
Auch in den Online-Redaktionen wird heiss diskutiert, so z.B. bei t-online. Hier sieht man die "Ostdominanz" zwar sehr kritisch, dass "dahinter gar politische Motive stecken, ist (aber) schlicht Quatsch". Irving Wolter wird mit der Aussage zitiert "da geht es um kulturelle Zugehörigkeit und gemeinsamen Musikgeschmack." Auch die t-online Redaktion zieht als zumindest ein positives Fazit, dass mit Serbiens Sieg "das alte Vorurteil vom Tisch (ist), man könne nur mit einer Feuerwerksshow oder viel nackter Haut gewinnen".
Noch weiter geht Spiegel-online, wo sich Autor Daniel Haas die Kritiker an der angeblichen Osteuropa-Dominanz vorknöpft: "Es muss an der guten Stimmung im politischen Berlin liegen (...). Im Westen nichts Neues, und schlimmer noch: nichts Skandalöses. Da kommt eine Balkan-Verschwörung gerade recht. Und wenn dann auch noch ein Ukrainer in Drag-Queen-Gestalt in seinem Song auf Deutsch "Tanzen!" bellt, dann ist klar: Die Steppenvölker stehen vor den Toren des Abendlands, in der einen Faust die Balalaika, in der andern das Telefon. Damit wird abgestimmt - und ganz sicher nicht zugunsten Westeuropas. Man muss die Buhrufer enttäuschen: Ihre Rechnung geht nicht auf, weder in kulturkritischer, noch in statistischer Hinsicht. Der Medienjournalist Stefan Niggemeier hat ausgerechnet, wie das Finale verlaufen wäre, hätte Osteuropa nicht abstimmen dürfen. Das Resultat: fast identisch mit dem tatsächlichen Ergebnis. Serbien und Ukraine wären ebenfalls auf Platz eins gelandet, Deutschland wäre um fünf Punkte nach oben geklettert. Hätte sich Roger Cicero mit einem 14. Platz als Sieger fühlen können? Wohl kaum." Haas schlussfolgert: "Natürlich ist das Televoting stark anfällig für Zuschauerzahlen und die Zusammensetzung des Publikums. Um so schlimmer die aktuelle Pöbelkampagne gegen das Finale. Denn je mehr der Contest als Balkan-Party diffamiert wird, desto weniger wird man zukünftig in London, Frankreich und Berlin Lust haben, zuzuschauen und abzustimmen. Televoting kann nur funktionieren, wenn in allen Ländern ein ähnlich starkes Interesse besteht. Die deutschen Kritiker, von Nicole bis Heinz Rudolf Kunze, sind gerade eifrig dabei, es noch weiter zu verringern."
In ihrer Druckausgabe von heute fällt das Urteil der FAZ, bzw. ihres Autors Dieter Baretzko etwas schärfer aus : "Sie (die Länder Osteuropas) schenkten einander so ungeniert Stimmen, als gäbe es sonst keine Teilnehmer - was
man nicht einmal mehr Skandal nennen mag. Denn ob Blockdenken oder Populismus die Rangfolge in einem faden musikalischen Pudding entscheiden, bleibt bedeutungslos. Der Grand Prix hat sich zu Tode erweitert.
"Zum Schluss die Frankfurter Allgemeine Zeitung (faz.net), die Ralph Siegel zitiert ("Der Grand-Prix ist so, wie er ist, gut. Der Osten ist einfach besser gewesen. England bis Niederlande waren grässlich.") und zu dem Schluss kommt, dass eine Umstellung des Punktesystems überlegenswert sei. Die Veranstaltung als Schummel-Grand-Prix abzustempeln, sei aber nicht richtig und eine Kurzschlussreaktion. Es komme auf die Qualität der Musik an - nicht auf Ost oder West.
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