Nach der letzten Generalprobe

14. Mai 2022 Reinhard Ehret

Es ist, wie man es von den Italienern kennt: Wenn’s drauf ankommt, haut es hin. Der Ablauf in der letzten Generalprobe vor der großen Liveshow klappte schon etwas geschmeidiger als zuvor. Insbesondere das imposante Intro “Give Peace A Chance” wirkte in der fast voll besetzten Halle großartig. Manche Umbauten, etwa vor Frankreich und Australien, haben wohl nach wie vor ihre Tücken und zwangen die Moderatoren zu einigen Überbrückungsspäßen.

Die allermeisten Künstler erlebten schon das echte Live-Gefühl und traten im korrekten Bühnenoutfit auf. Marius aus der Schweiz hat die Farbe des Gegenlicht-Spots am Anfang seines Songs von rosa auf orange verändert, doch im Grunde hat jeder Gig nun seinen exakten Schliff. Die Interpreten wirkten alle sehr sicher und bestens eingespielt – bis auf die Griechin, die stimmlich am unsichersten klang. Sheldon Riley aus Australien hat sich gegenüber gestern erheblich steigern können und sang souverän. Stefan aus Estland beschloss das Ganze wieder ausgesprochen souverän, wirkte aber etwas lässig im textlichen Bereich. Sein Westernsong ist wirklich ein toller Abschluss des 25er-Wettbewerbsfeldes. Den größten Hallenapplaus – mal von den Italienern abgesehen – bekam Chanel aus Spanien.

Für das sympathische Moderatorentrio hat immer noch niemand bessere Texte geschrieben. Immer wieder “Make some noise” oder “I can?t hear you” in die Menge zu rufen, ist von fraglicher Originalität. Am faszinierendsten ist aber – durch alle Generalproben hindurch – zu erleben, wie sehr das Hallenpublikum mitgeht, teilweise mitsingt und perfekt mitklatscht, die Musikstücke also richtig mitfühlt und miterlebt. Das wird so manchem Interpreten Flügel verleihen. Die Måneskins wurden einmal mehr zum Vollplayback durch die Rockband fingierende Tänzer ersetzt. Die Hoffnung steigt, dass heute Abend die echten ESC-Sieger auftreten. 

Gigliola Cinquetti versetzte ihr Publikum wieder in Verzückung, das zwischen verzaubertem Innehalten bis zu lächelndem Mitsingen am ihrem “Non ho l?età” teilnahmen. Das wird wunderbar! Freuen wir uns auf einen sicher hochspannenden ESC-Abend. Ob nun ein vermeintlicher Sieger schon vorab feststeht oder nicht: Genießen wir das friedliche musikalische Beisammensein, das Fachsimpeln und Mitfiebern! Einen wunderschönen Abend für uns alle!

Foto: Frank Albers