Noch 13 Tage bis zum Eurovision Song Contest 2024

Interview mit Alexandra Wolfslast und Stefan Leidner

28. März 2023 Frank Albers

Interview mit Alexandra Wolfslast und Stefan Leidner beim OGAE-Clubtreffen am 25. März 2023 in München.

Alexandra Wolfslast (NDR) und Stefan Leidner (HR) sind die verantwortlichen Redakteure für “Ein Lied für Liverpool”. Alexandra ist zudem deutsche “Head of Delegation” in Liverpool und Stefan ihr Assistent.

Interview: Frank Albers (OGAE Germany), verschriftlicht von Live-Bühnen-Interview

OGAE Germany: Stefan, Deine Eurovision-Karriere ist auch eine kleine OGAE-Erfolgsgeschichte, auf die wir mächtig stolz sind. Schon als 14jähriger warst Du bei den Clubtreffen dabei, warst im OGAE-Präsidium, hast das Video-Archiv aufgebaut und nun bist Du Redakteur der Deutschen Vorentscheidung und obendrein auch noch deutscher Assistent-Head-of-Delegation in Liverpool. Was für eine Geschichte! Erzähl uns ein wenig, wie Du das hinbekommen hast.

Stefan Leidner: So wie du es erzählst, ist es wirklich krass. OGAE hat es mir sehr leicht gemacht, ich war 20 Jahre im OGAE Präsidium, habe nebenher studiert und das endete dann mit einem Job als Redakteur beim Hessischen Rundfunk. Als es dann einen Leitungswechsel beim NDR für die deutsche Vorentscheidung gab, hatte ich das Gefühl, jetzt könnte die richtige Zeit sein, sich zu bewerben. 2022 hat es dann noch nicht gleich geklappt aber in diesem Jahr wurde ich dann tatsächlich Redakteur für “Ein Lied für Liverpool”. Da ich weiter beim Hessischen Rundfink arbeite und nicht zum NDR gewechselt bin, steht im Abspann der Show nur der HR als Kooperationspartner. Mehr als den ESC redaktionell zu verantworten ist eigentlich nicht möglich, zusammen mit Alex natürlich.

OGAE: Was bedeutet es eigentlich Redakteur der deutschen Vorentscheidung zu sein? Was macht man da so?

Stefan: In der Redaktion sind die Leute, die im Hintergrund über Monate alles inhaltlich organisieren und vorbereiten. Sie tragen die inhaltliche Verantwortung für das was man dann im Fernsehen später sieht. Die Organisation für “Ein Lied für Liverpool” lief dann seit Herbst letzten Jahres und bestand darin, zunächst die Bewerbungen zu koordinieren und später die Show inhaltlich zu konzipieren, Verträge zu machen, Grafiken auszuwählen usw.

OGAE: Alex, nach der fetten Kritik, die ihr 2022 einstecken musstet, habt Ihr in diesem Jahr einiges umgestellt und das auch recht erfolgreich, wie das mehrheitlich positive Feedback in den Sozialen Medien zeigt. Kannst Du ein wenig erklären, wie man an eine neue Show herangeht, wenn man im Vorjahr so richtig verrissen wurde?

Alexandra Wolfslast: Erstmal möchte ich mich auch bei Stefan bedanken, denn ich bin wahnsinnig froh, dass er im Team ist. Wir ziehen an einem Strang, was vieles erleichtert.? Letztes Jahr war Kritik so vehement, dass wir unbedingt etwas ändern mussten. Wir haben uns aber auch nicht reinquatschen lassen. Natürlich muss man dabei auch immer Leute, die mitentscheiden, mit einbinden und überzeugen, die den ESC als Prozessa aber gar nicht so richtig verstehen. Uns war in diesem Jahr musikalische Vielfalt wichtig aber auch bei der Auswahl der Beiträge eine möglichst große Transparenz zu schaffen. ?Nach dem schlechten Abschneiden im letzten Jahr, hatten wir kurzzeitig auch darüber nachgedacht, eine interne Selektion zu machen. England ist da ja ein erfolgreiches Vorbild, die den Turn-Around hingekriegt haben. Wir haben uns dann aber doch für einen Vorentscheid entschieden, gerade weil wir versprochen hatten, für mehr Transparenz zu sorgen. Wir haben dann versucht, verschiedene Korrekturelemente einzubauen, die uns halfen, musikalisch diverse Titel zu finden und qualitativ Titel dabeizuhaben, die auch international bestehen können. Deswegen z.B. auch die internationale Jury.

OGAE: Diese Korrekturen haben ja durchaus funktioniert, aber wie ist das Standing des ESC gerade bei den Plattenfirmen? Warum muss man bei den Lables immer noch richtig kämpfen, damit sie sich mit ihren Interpreten bewerben?

Alex: Es ist immer noch hart, das muss ich ganz klar sagen. Man sieht es daran, dass in der diesjährigen Vorentscheidung nur ein Künstler von einem Mayor-Label war. Ansonsten waren es independent oder kleinere Labels oder Künstler ganz ohne Label. Die großen Firmen sperren sich leider immer noch. Einerseits verstehen sie zwar, dass es eine Riesenchance ist, Künstler auch international bekannt zu machen, aber sie haben noch zu viel Angst vor dem Vorentscheid.? Ich denke, dass es uns in diesem Jahr geglückt ist, zu zeigen, dass auch der Vorentscheid ein Sprungbrett sein kann. Ich habe mit Will Church, Rene Miller und Anica Russo gesprochen, und die sind sehr glücklich. Es darf ja nicht nur um den Sieg gehen, sondern die Teilnehmer sollen sich gut aufgehoben fühlen, wenn sie zum Vorentscheid kommen.?Wir haben da das Beispiel Finnland vor Augen, wo jeder einzelne Act davon profitiert, dass er im finnischen Vorentscheid dabei ist. Das muss auch unser Ziel sein, dann bekommt man auch die Künstler und großen Labels in die Show.

OGAE: Wir sprechen über die Sichtbarkeit der Künstler in der Vorentscheidung, was auch für die Labels wichtig ist. Wie kann dann ein Sendeplatz um 22:20 Uhr dazu beitragen? Wie kam es zu dieser Entscheidung?

Stefan: Die Meinungen gehen da daurchaus auseinander. Die eine Hälfte findet es ganz fürchterlich und nennt es “verstecken”. Die andere Hälfte findet es toll, da um diese Uhrzeit unsere Zielgruppe viel besser erreicht wird. Denn das sind die Menschen, die den ESC anschauen, und da bleiben sie ja auch bis spät in die Nacht auf.? Die Erfahrung der letzten Jahre ist ohnehin, dass Musikshows mit Liedern die noch unbekannt sind – also kein Schlagerboom mit Silbereisen – quotenmäßig nie übermäßig gut funktionieren. Auch das was Raab früher mit dem Bundesvision-Song-Contest gemacht hat, war quotentechnisch auf dem gleichen Niveau wie jetzt die deutsche Vorentscheidung. Die Anzahl von 2 Millionen Zuschauern ist die realistische Größe, die Du erstmal so holen kannst. Ich weiß daher gar nicht, ob die Quote um 20:15 Uhr in Konkurrenz zu “Let´s Dance” usw. überhaupt besser gewesen wäre. Ich bin daher der Meinung, dass man das so machen kann.? Anderseits gibt man für eine solche Show natürlich viel Geld aus und nimmt sich ein wenig die Chance, es ganz groß zu einem Familien-Happening zu machen. Und natürlich ist es den Labels aber auch den Künstlerinnen und Künstlern, mit denen wir gesprochen haben, wichtig auf welchem Sender und auf welchem Sendeplatz die Show läuft, wer moderiert usw. Und anhand dessen entscheiden sie dann, ob eine Teilnahme für sie attraktiv ist und ihnen etwas bringt.

OGAE: Das führt uns nun direkt zu 2024 und zu Euren Plänen für das nächste Jahr. Wenn man die Fans fragen würde, wäre die Hälfte sicher für eine deutsche Version des Meldodfestivalen mit großen Shows an sechs Samstagabenden hintereinander. Das ist vermutlich für die ARD nicht sehr realistisch. Was ist Deine Vision für 2024, Alex?

Alex: Nachdem der diesjährige Vorentscheid sowohl von der Fan-Community als auch von der Presse gut besprochen wurde, hoffe ich ersteinmal, dass wir möglichst noch vor dem ESC in Liverpool intern die Zusage bekommen, dass wir auch 2024 mit diesem Verfahren weitermachen können. Dann hätten wir wieder einen Vorentscheid, wobei ich noch nicht weiß auf welchem Sender, auf welchem Sendeplatz und in welcher Stadt. Aber im Prinzip wollen wir so weitermachen und uns natürlich weiter verbessern. Vielleicht noch ein bis zwei Acts mehr, vielleicht noch mehr musikalische Vielfalt, es fehlte ja z.B. der Schlager aber auch etwas ganz Junges. Das ist es aber etwas woran wir arbeiten. Grundsätzlich war es jetzt schon sehr wichtig, dass wir jeden Auftritt individuell inszeniert und eine Wertschätzung für jeden einzelnen Beiträge erreicht haben. Und wir hoffen, dass wir, sollten wir vor Liverpool die Zusage bekommen, zeitnah mit den Vorbereitungen für 2024 beginnen können. Das war in diesem Jahr leider sehr eng und knapp. Man muss Künstlern und Songwritern einfach eine Chance geben, sich hinzusetzen und zu schreiben. Und nicht sagen: in einem Monat ist Abgabetermin. Das war schon sehr sportlich.

OGAE: Dann drücken wir Euch und uns jetzt ersteinmal alle Daumen, dass ihr die Zusage für einen Vorentscheid 2024 bekommt.

Stefan: Dazu noch kurz: Die Entscheidung wann etwas in der ARD läuft trifft übrigens nicht der NDR sondern die ARD-Programmdirektion in München. Soviel dürfen wir sicher sagen, der 22:20 Uhr Termin war kein Wunschtermin des NDR?

OGAE: Also wir müssen dann mit der Programmdirektion sprechen. Die rufen wir an oder noch besser noch – wir schauen bei ihrem nächsten Treffen einfach mal vorbei.
Nun aber zu unserem deutschen Beitrag, der erstaunlich postiv besprochen wird, wie selten ein deutscher Beitrag in den letzten Jahren. Was erwartet uns nun in Liverpool? Welche Pläne habt ihr für das Staging?

Alex: Die Grundidee des Auftritts haben wir schon beim Vorentscheid gesehen. Es wird jetzt nicht wahnsinnig anders aussehen, aber es wird natürlich viel größer und an die Bühne angepasst werden. Wir sind mit dem Contest-Team am schrauben, was technisch möglich ist. Alles wird gewichtstechnisch auch nicht funktionieren, das hat man ja auch bei Loreen mitgekriegt, denn alles geht da in der Halle leider nicht. Wir werden es auf jeden Fall größer machen und ich glaube niemand wird enttäuscht sein. Daran hat natürlich auch die Band ein großes Interesse. Ich glaube, es wird daher recht opulent werden.

OGAE: Die PR und die Präsentationen vor dem ESC scheinen immer wichtiger zu werden. Seit Jahren reiht sich zwischen Barcelona, Tel Aviv, Amsterdam und London vor dem ESC eine Pre-Party an die nächste. Was plant ihr mit Lord of the Lost? Wo werden die Fans in Europa sie live erleben können?

Stefan: Der Vorteil ist, eine sehr professionelle Band zu haben, die genau weiß was sie will und was sie nicht will. Die bringen sehr viel mit, darunter aber auch einen sehr vollen Terminkalender. So wird die Band noch eine Südamerika-Tour direkt vor dem ESC haben, bis kurz vor unserem Abflug. Vom 19. April bis 1. Mai sind sie in Mexiko, Chile, Brasilien und Argentinien unterwegs? Am 1. Mai landen sie wieder in Deutschland und am 3. Mai brechen wir nach Liverpool auf.

OGAE: Das bringt uns nur leider keine Punkte?

Alex: Denk mal an die neue “Rest of the World”-Wertung? Aber die wird natürlich nicht viel bringen. Aber Amsterdam werden sie machen, das ist ja auch die größte Pre-Party und das freut uns sehr. Wir hätten gerne mehr gemacht, aber die Terminfindung ist echt recht kompliziert, wegen der Südamerika-Tour aber auch wegen Themen wie Kinderbetreuung bei einigen Bandmitgliedern. Das spielt da ja alles mit rein. Aber grundsätzlich machen die Jungs alles mit was ihnen möglich ist, sagen alle Interviews zu. Aber bei den Pre-Partys wird es wohl bei Amsterdam bleiben.

OGAE: Zudem ist die Band ja heute Abend auch hier bei uns in München.? Aber was erwartet ihr eigentlich persönlich von Lord of the Lost?? Habt ihr eine Idee wie es ausgehen könnte oder vielleicht sogar einen offiziellen Auftrag, dass eine bestimmte Platzierung erreicht werden muss, weil sonst die Show doch irgendwann komplett vom NDR an den Hessischen Rundfunk geht?

Stefan: Auftrag – naja, wird sind rundfunkbeitrag-finanziert. Der Auftrag kommt daher von den Zuschauern, es ist ein Wettbewerb und im Idealfall geht es gut aus. Ich als Redakteur kann nur versuchen, der Band vor Ort aber auch der Alex den Rücken frei zu halten. Sie ist Head of Delgation, da gibt es genug zu tun. Ich sehe mich nicht in der Rolle, der Band Druck zu machen und eine Platzierung vorzugeben. Denn sie werden dann schlecht performen, wenn sie diesen Druck bekommen. Ich werde nicht an ihrem Kostüm herumflücken, das müssen sie selbst wissen. Denn sie holen auch die Punkte, nicht ich.

OGAE: Wenn Du die Redakteurs-Rolle mal beiseite lässt, wie schaust Du als Fan auf die Band und das was da kommen wird?

Stefan: So ganz als unabhängiger Fan hätte ich für den Fall, dass wir ohne Vorentscheidung intern aus dem extrem guten Angebot ausgewählt hätten, meine Stimme genau für ?Blood & Glittter? gegeben. Ich freue mich, dass dieses Lied aus Deutschland kommt, wo dieses musikalische Genre richtig groß ist, auch wenn viele ESC-Fans vielleicht nicht so den Bezug dazu haben. Und wenn es nicht erfolgreich abschneiden sollte, so wird es auf jeden Fall auffallen. Bei dem ESC-LineUp in diesem Jahr ist unser Lied sicher unter den fünf Beiträgen, an die man sich am Ende erinnern kann.

OGAE: Aber auch bei Dir noch einmal nachgefragt, Alex. Spürst Du irgendeinen Druck von den ARD-Bossen, dass Du mindestens in die Top5 kommen musst oder so, ansonsten ist der Job weg oder kannst Du ganz entspannt an die Sache rangehen?

??Alex: Nein, ich bekomme keinen Druck aus dem Haus. Diesen Druck macht man sich vielmehr selbst. Kein Mensch möchte im Greenroom sitzen und 36mal null Punkte bekommen. Das ist wirklich nicht schön. Und auch was danach passiert ist nicht wirklich schön. Allein deshalb möchte man schon so gut wie möglich abschneiden. Aber Prognosen gebe ich nicht, da kann immer noch zu viel passieren. Aber ich bin natürlich optimistisch und ich freue mich wahlsinnig über die Band. Das sind einfach ganz tolle Menschen, was es ja auch erleichtert, wenn man auf engen Raum so viel wie gerade jetzt zusammenarbeitet. Das ist aber auch wichtig, um den ganzen Zirkus, der da jetzt auf die Band zurollt, gut zu überstehen. Und ich hoffe für die Jungs, dass sie nun international noch mehr Aufmerksamkeit bekommen, also sie ohnehin schon haben.

OGAE: Wir wünschen wir Euch beiden, Lord of the Lost, aber auch uns Fans viel Glück in Liverpool. Ich zumindest habe ein sehr gutes Gefühl.

Fotos: Karl Jakob (Stills von Video)